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Handaufzucht oder Naturbrut ?

Bei Züchtern von Papageien bekommt man Handaufzuchten und Naturbruten, nur wo liegt da genau der Unterschied?

 

Zum einen gibt es Handaufzuchten ab Ei, Vögel die ihre leiblichen Eltern gar nicht kennenlernen durften und direkt ab Schlupf per Hand großgezogen wurden, wodurch sie meist so gut wie kein arteigenes Verhalten erlernen konnten, weshalb sie ganz besonders leicht zu Verhaltensstörungen neigen.

 

Sogenannte Teilhandaufzuchten werden meist im zarten Alter von einigen Wochen aus dem elterlichen Nest genommen, sie werden dann halt abrupt von ihren Eltern getrennt, separat untergebracht und vom Züchter mit speziellem Handaufzuchtsfutter per Hand weiter aufgezogen.

Das Ziel dieser beiden Aufzuchtsformen sind möglichst zahme Papageienbabys, welche bei den Käufern besonders begehrt sind.

Handaufzuchten sind deshalb zwar meist schon sehr zahm, weil sie halt von Menschenhand aufgezogen wurden, anstatt von ihren Eltern, aber Handaufzuchten neigen leider wie schon gesagt recht schnell zu Verhaltensaufälligkeiten, insbesondere auch wenn sie alleine bzw. vorübergehend allein gehalten werden. Deshalb ist diese Aufzuchtsmethode auch bei vielen umstritten.

 

Wenn man sich für eine Handaufzucht entscheidet, wäre zumindest die Teilhandaufzucht ratsam. Man sollte möglichst darauf achten, dass die Küken wenigstens ca. 6 Wochen bei den Eltern im Nest bleiben durften, damit sie zumindest ein wenig Erfahrungen von ihren Eltern mitnehmen können. Auch sollten die Küken möglichst im Geschwisterverband weiter großgezogen worden sein, damit sie wissen wie ihre echten Kameraden aussehen. Am optimalsten wäre es, wenn die Jungvögel nachdem sie soweit futterfest sind, noch einige Zeit beim Züchter in einer Gruppe mit Artgenossen verbringen würden, ehe sie endgültig abgegeben werden, damit die Jungtiere die Möglichkeit haben in dieser Zeit ein noch besseres Sozialverhalten erlernen zu können. Leider wird dies jedoch kaum praktiziert und die Küken werden meist abgegeben, sobald sie futterfest sind.

Gerade bei Handaufzuchten ist es besonders wichtig, direkt zwei Tiere zu nehmen oder wenigstens so schnell wie möglich den Zweitvogel anzuschaffen, damit sie nicht unnötig stark auf den Menschen fehlgeprägt werden, was halt auf Dauer zu einigen Problemen führen kann.

 

Kommen wir nun zu den sogenannten Naturbruten.

Naturbruten werden ganz natürlich von ihren Vogeleltern bis zur Selbstständigkeit aufgezogen und sie haben dadurch genug Zeit, um sich von ihren Eltern wichtige Verhaltensweisen abzuschauen, die für ein Papageienleben wichtig sind. Auch Naturbruten werden schnell zahm, wenn man etwas Geduld hat und einen jungen Vogel erwirbt. Meist sind sie auch wesentlich günstiger als Handaufzuchten. Auch Naturbruten sollten einen arteigenen Partner bekommen, da auch sie bei längerer Einzelhaltung Verhaltensauffälligkeiten zeigen können, wenn auch nicht in dem Maße wie bei den Handaufzuchten.

Meiner Meinung nach wird auch oft vergessen, dass man den Handaufzuchten die Nähe und Zärtlichkeit der Elternvögel nimmt.
Versetzen wir uns doch mal in die Lage eines Kükens:


Naturbrut: 
Das Küken sitzt mit seinen Geschwistern im Nest, wird durch den Körperkontakt der Eltern gewärmt und hört ihre vertrauten Stimmen, die es von Anfang an kennt. Schon aus dem Ei heraus nehmen die Vogelküken in den letzen Tagen vor dem Schlupf mit fiependen Lauten Kontakt zu ihren Eltern auf. Die Vogeleltern füttern und umhegen die Küken und sind ständig für die Jungvögel da. Mit der Zeit wird das Küken größer, es wird neugierig und schaut aus dem Nistkasten, wo Mama und Papa immer hinfliegen. Irgendwann nimmt es seinen ganzen Mut zusammen und folgt den Eltern, die auch in der neuen großen Welt noch eine Weile für den Jungvogel da sind und sie begleiten, bis er schließlich vollkommen selbstständig ist.
Der Jungvogel beobachtet wie Mama und Papa sich kraulen, füttern, fliegen und sich putzen, was sie fressen usw. Er kann mit seinen Geschwistern die neue Welt erkunden und hat genügend Zeit, sich die natürlichen Verhaltensweisen der Eltern abzuschauen und sie zu erlernen.
Auch die Elternvögel können ihre Jungen bis zur Selbstständigkeit begleiten und stolz zusehen, wie aus ihren Babys selbständige Halbstarke werden.



Handaufzucht:
Das Küken sitzt im günstigsten einige Wochen mit seinen Geschwistern zusammen ebenfalls im elterlichem Nest und wird von den Eltern umsorgt.
Dann wird es plötzlich samt Geschwistern aus dem Nest genommen und in eine Schüssel oder einen Kasten gesetzt.
Wo ist nur die Vogelmama geblieben, die das Küken und seine Geschwister gewärmt und beschützt hat. Es ist zwar auch nicht kalt (künstliche Wärme), aber wo sind die Eltern? Keine Vogelmamastimme mehr ! Das Küken hat Hunger und dann nähert sich ein anderes riesiges Wesen (Mensch) und da das Küken nicht verhungern will, nimmt es von diesem Wesen Futter aus einem fremden Gegenstand (Spritze, Löffel usw.) an, es bleibt ihm ja schließlich nichts anderes übrig, wenn es leben und nicht verhungern will.
Wenn das Küken Glück hat, nimmt sich das riesige Wesen ab und zu Zeit und versucht, die körperliche, beschützende Nähe der Eltern durch Streicheleinheiten zu ersetzen.
Wenn es Pech hat, wird es nach dem Füttern wieder bis zur nächsten Mahlzeit beiseite gestellt. Hoffendlich ist dann wenigstens noch ein Geschwisterchen da, mit dem man kuscheln kann.
Es wächst ebenfalls heran, aber es sind keine Eltern mehr da, die den jungen Vogel in die große Welt begleiten und ihm zeigen, wie man sich richtig putzt, was man fressen darf und wie sich ein normaler Vogel verhält. Nur evt. vorhandene Geschwister, die auch alle grün hinter den Ohren sind, sind da um zu üben.
Die junge Rasselbande erkundet die Welt auf eigene Faust, es bleibt ihnen ja auch nichts anderes übrig, Mama und Papa sind als Lehrer ja nicht mehr da.

OK, das Küken arrangiert sich notgedrungen mit den Menschen und zweigt auch keinerlei Angst vor ihnen, aber ist es wirklich gut gewappnet, um ein glückliches Papageienleben führen zu können? Oder hat man ihm nicht doch eine wichtige Phase im Leben gestohlen?
Und was passiert mit den Vogeleltern, nachdem ihnen die Vogelbabys gestohlen wurden? Sie schauen verdutzt in ihr Nest und müssen feststellen, dass ihre ganzen Babys verschwunden sind, die sie bis jetzt so liebevoll umsorgt haben.

Wo sind sie nur hin? Traurig blicken sie ins Leere.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass solch intelligenten Tieren wie den Papageien, das Wegnehmen der Brut absolut nix ausmacht, auch wenn sie es uns nicht zeigen können.

Stress ist es für die Elternvögel aber allemal.



Mein Fazit:

Verhaltensweisen können Jungvögel durch das vorzeitige Herausnehmen aus dem Elternnest nicht in der Vielfalt erlernen, wie es ein Naturbrutvogel kann. Eine Naturbrut kann auch noch nach dem Verlassen des Nestes von den Elternvögeln lernen. Auch die körperliche Nähe und die Sprache der Eltern werden dem Naturbrutküken nicht abrupt vorenthalten. Es hat Zeit, sich von den Eltern abzunabeln.
Auch die Gefühle der Elternvögel, denen die Brut geklaut wird, sollte man nicht vergessen, schließlich haben wir es mit intelligenten Wesen zu tun, die auch trauern können.

Ich finde es bedenklich der Natur ohne vernünftigen Grund so massiv ins Handwerk zu fuschen, nur um dem zukünftigen Halter die Arbeit der Zähmung abzunehmen.

Na ja, aber wen wundert’s, wo man doch heut vieles fertig von der Stange kaufen kann.

Ich würde mir wünschen, dass die Handaufzucht wirklich nur in Notfällen durchgeführt würde, um z.B. einem Küken zu helfen, was wirklich in Not geraten ist, weil es beispielsweise von den Eltern nicht ausreichend gefüttert wurden, oder weil es gar von ihnen verletzt wurde, wie mein Woody. Ansonsten sollte die Aufzucht der Küken meiner Meinung nach wirklich komplett den Papageieneltern überlassen werden, wenn irgendwie möglich. 

Es kann nicht sinnvoll sein, mit der gezielten Handaufzucht Verhaltensprobleme zu provozieren nur um unsere Bequemlichkeit und unseren Egoismus zu befriedigen!

Bei der Naturbrut haben die Vögel in Menschenobhut die Möglichkeit, ihr natürliches Verhaltensrepertoire so weit wie möglich auszuleben und genau dies sollte immer das Ziel in der Heimtierhaltung sein!

Wenn einem die Tiere wirklich am Herzen liegen, sollte man ihnen auch wenigstens die Möglichkeit geben, ihr Familienleben weitestgehend ausleben zu dürfen, so wir wir es uns ja auch für uns wünschen.

Ich selbst habe damals auch aus Unwissenheit einige meiner Papageien aus Teilhandaufzucht bekommen. Mit meinem heutigen Wissen würde ich nun Naturbruten auf jeden Fall vorziehen und falls meine Papageien-Bande mal selbst Küken haben sollten, dürften sie diese auch allein großziehen, soviel steht für mich fest.

Mein Graupapagei Woody, der ja wirklich einen Nothandaufzucht war, war anfänglich eine arge Klette, selbst auf die Toilette wollte er mit. Das mag sich nun erst mal ulkig anhören, aber auf Dauer ist es ehrlich gesagt auch nervig, einen ewigen Schatten zu haben, der eigentlich ohne Mensch total unselbstständig wirkt.

Uns ist es damals durch Zurückhaltung unserseits und durch Mithilfe seiner Henne Pino gelungen, ihn wieder soweit auf Vogel umzupolen.

Heute ist er viel selbstständiger und hat weitestgehend gelernt, dass er eigentlich ein Graupapagei und kein Mensch ist. Nun ist er das, was ich damals bei der Anschaffung eigentlich wollte, ein Graupapagei und kein Wesen, was nicht weis, wo es eigentlich hingehört.

Fehler machen wir alle,  ich habe für mich persönlich umgedacht und würde heute im Interesse der Tiere anders handeln. Aus diesem Grund entstand auch diese Seite hier, vielleicht wird mancher ebenfalls zumindest nachdenklich...

 

Die Vor- und Nachteile des verschiedenen Aufzuchtsformen habe ich für Interessierte nochmal detailliert in unserem Projekt " AG Vogel und ich" zum Vergleich gegenübergestellt. Darin sind auch gesundheitliche Aspekte mit berücksichtigt, die ebenfalls nicht zu verachten sind.

Um direkt zur entsprechenden PDF-Datei zu gelangen klickt bitte  hier .

 

 

Zum Schluss auch noch einige interessante Links, die ebenfalls Stellung zur Handaufzucht beziehen:

 

TVT Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz

 

http://www.papageien-und-sittiche.de/service9.html

 

 

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